Droht ein neuer Kalter Krieg oder ist er schon im Gange? Zum Ukraine-Konflikt

Am vergangenen Wochenende wurde in Berlin mit großem Aufwand dem Mauerfall vor 25 Jahren gedacht. Dieser wird von vielen zugleich als das Ende des Kalten Krieges erachtet. Während anlässlich des Gedenkens an dieses Ereignis am Brandenburger Tor ausgelassen gefeiert wurde, schlug der zu den Feierlichkeiten in Berlin geladene Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow – der zugleich der letzte Staatspräsident der Sowjetunion war – nachdenkliche und äußerst kritische Töne an. Der Westen habe es nach dem Ende der Blockkonfrontation versäumt, die Chance zu einer gemeinsamen und vertrauensvollen internationalen Politik zu nutzen. Stattdessen habe sich der Westen zum triumphalen Sieger des Systemwettstreits erklärt, die Schwäche Russlands ausgenutzt und sich zur alleinigen Weltführerschaft aufgeschwungen. Auch zum aktuellen Ukraine-Konflikt äußerte sich Gorbatschow und kritisierte die westliche Politik gegenüber Russland scharf. Er forderte Verständnis für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein, der mit seinem Agieren den Westen zu einer gemeinsamen Lösung des Ukraine-Konflikts drängen wolle. Weiter riet Gorbatschow dem Westen zur rhetorischen Abrüstung und rief dazu auf, die gegen Russland verhängten Sanktionen aufzuheben. Man müsse aufeinander zugehen und dürfe die Spaltung Europas nicht weiter vorantreiben. Sonst drohe der Welt eine Neuauflage des Kalten Krieges.

Ähnlich argumentierten jüngst auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger und der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Gentscher, was Oeconomicus auf Geolitico aufgreift. Nach dem Ende des Kalten Krieges hätten die USA und die NATO-Alliierten beinahe all ihre Versprechen gegenüber Russland gebrochen. Oeconomicus spricht von einem „politischen Amoklauf“, der gegen Russland initiiert worden sei und dennoch nicht zum vom Westen erwünschten Erfolg geführt habe. Wladimir Putin habe dem widerstanden. Nun drohe ein neuer Kalter Krieg, der Deutschland, in einem von Krisen ohnehin geplagten Europa, besonders hart treffen würde.

Dem Eindruck, dass der Westen und Russland über den Ukraine-Konflikt in einen neuen Kalten Krieg hineinschlittern, können sich auch Stefan Wolff und Tatyana Malyarenko auf The Conversation, nicht entziehen. Die Eskalationsspirale drehe sich immer weiter. Der ohnehin brüchige Waffenstillstand zwischen der ukrainischen Regierung und den separatistischen Kräften im Osten drohe nach den vom Westen und der Kiewer Regierung nicht anerkannten Wahlen in den selbsternannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk, vollends Makulatur zu werden. Russland versuche dies für sich zu nutzen, so Wolff und Malyarenko, um die Ostukraine als einen de facto-Staat in enger Anbindung an Russland zu etablieren, wie man dies schon Anfang der 1990er in Moldawien oder Georgien praktiziert habe (Transnistrien, Südossetien, Abchasien). Doch dieses Mal könnte sich Russland verkalkuliert haben, denn der Westen habe zu harten und wirkungsvollen Sanktionen gegriffen. Auch diesen Kalten Krieg würde Russland wohl nicht gewinnen, so Wolff und Malyarenko, doch sei dies kein Grund für westliche Jubelarien, schließlich seien die Kosten für alle Seiten unverhältnismäßig hoch.

Inwiefern bzw. in welchem Ausmaß Russland die ostukrainischen Separatisten in ihrem Kampf gegen die Kiewer Regierungskräfte unterstützt, ist schon seit geraumer Zeit höchst umstritten. Ganz aktuell ist wieder von Militärtransporten aus Russland die Rede, die die ostukrainische Grenze passiert haben sollen. Die NATO und die OSZE hätten dies bestätigt, Russland hingegen dementiert, wie auf Telepolis nachzulesen ist. Fotografische Belege dieser russischen Truppenbewegungen werden von Florian Rötzer jedenfalls sehr zurückhaltend kommentiert, zweifelsfrei beweisen lassen sie sich (derzeit) jedenfalls nicht.

Dass es durchaus berechtigt sein kann, Fotobelegen einer russischen Invasion gegenüber Vorsicht walten zu lassen, darauf weist Thomas auf Die Wahrheit über die Wahrheit hin. Verschiedene Nachrichtenseiten hätten zur Illustrierung der Behauptung, russische Panzer stünden auf ukrainischem Boden unweit der Separatistenhochburg Donezk, ein Bild verwendet, das zwar einen russischen Panzer bei Donezk zeigt, allerdings handelt es sich dabei nachweislich um die südrussische Kleinstadt gleichen Namens. Vielleicht sei das ja einfach nur eine Unachtsamkeit oder ein Fehler gewesen, aber müssten die Medien – so fragt Thomas – nicht mehr Sorgfalt walten lassen, insbesondere nachdem sie in den letzten Monaten aufgrund ihrer recht einseitigen Berichterstattung über die Ukraine-Krise in die Kritik geraten waren?

Droht ein neuer Kalter Krieg oder befinden wir uns schon mittendrin? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil doch viele Behauptungen und Schuldzuweisungen nur schwierig zu überprüfen sind – wenn überhaupt. Der Hinweis Gorbatschows, zumindest rhetorisch abzurüsten, könnte jedenfalls ein hilfreicher sein. Vielleicht verlangsamt sich dann auch wieder die Eskalationsspirale.